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Nachtfahrt
(Türkei 1988)

Diese endlose Straße.
Draußen die Landschaft
fliegt vorbei
Felder, Hügel, Steinwüsten
kein Baum, kein Strauch
vor uns endlose Weite
hinter uns
Staubfahnen.
Aus dem Autoradio Musik (Sade, "Keep looking")
Hitze, Staub, die Straße, wohin wird sie uns bringen?
Dann wieder ein Dorf, spielende Kinder, die Männer
vor den Cafés, vor den Häusern dösen Hunde,
ausgestreckt im Staub
dann wieder
Felder, Hügel, Steinwüsten, endlose Weite, Staub, Hitze,
die Straße.
Bald gibt es nur noch uns und diese endlose Straße
auf der ganzen Welt.
Langsam senkt sich die Nacht
auf die anatolische Ebene herab. Es wird kühler,
der Mund immer noch ausgetrocknet,
dieses Land schmeckt so bitter
wir fliegen über die Schotterstraßen,
schweben melancholisch über Felder, Hügel, Steinwüsten,
vereinzelte Dörfer, aus denen müde Lichter blinken.
Die Töne der Musik aus dem Autoradio
(Sade, "I never thought, i'd see the day")
umspielen den riesengroß am Horizont aufgehenden Mond
der sein kühles, silbriges Licht wie eine Decke mild
auf dieses arme Land ausbreitet, hoch darübergewölbt
der kalte, klare Sternenhimmel.
Wir fliegen durch die Nacht
der Mond
ist unser Leuchtfeuer
an welcher Klippe werden wir stranden?
Die Musik aus dem Autoradio (Sade, "Siempre hay esperanza")
bringt unser kühles Blut in Wallung und die Kobolde
und Feen hinter Büschen und Felsen zum Tanzen,
vereinzelt jagen Nachtreiter in Zeitlupe
lautlos
über die mondbeschienene
anatolische Steppe.
An welcher Klippe werden wir stranden?